Fanatiker haben eines gemeinsam: Sie verallgemeinern. Oder, um es etwas präziser auszudrücken, sie nutzen einen induktiven Schluss und reduzieren auf irrationale Weise die sie umgebende Komplexität. Was heißt das? Ganz praktisch: Sie ziehen Rückschlüsse aus einzelnen Persönlichkeitsmerkmalen und generalisieren sie auf die komplette Person bzw. die entsprechende Gruppe. Wenn ein politisch rechter Fanatiker einen dunkelhäutigen Menschen sieht, vermutet er meist, dass dieser Mensch sein Wohlergehen in irgendeiner Weise bedroht. Er wird reduziert auf: Asylant oder Ausländer. Dieser Mensch ist ebenso Sohn, Bruder, vielleicht Moslem, vielleicht Familienvater, u.U. Karikaturist oder ähnliches. Ein Aspekt mag in bestimmten Situationen federführend sein, doch in der Regel ist es eine Mischung aus verschiedenen inneren und äußeren Faktoren, die das Verhalten und die Haltung bestimmen. Zu letzterem Satz empfehle ich als Lektüre von Zimbardo „Der Luzifer-Effekt“ und die Bücher von Dan  Ariely.

Ein konkretes Beispiel dazu: Ich unterrichtete vor vielen Jahren Deutsch als Fremdsprache. In meinem Kurs saß ein Iraner, der geflüchtet war. Er war Moslem. An der Stelle blenden die Fanatiker alles weitere aus. Er war aber auch Karikaturist, der das totalitäre Regime mit einer satirischen Zeichnung kritisiert hatte. Deswegen mussten er und seine Familie fliehen. Um so einen Mann zu beschreiben, reicht der Aspekt „Moslem“ nicht aus. Der Grund seiner Anwesenheit in Deutschland war nicht, dass er uns bekehren wollte, sondern er wollte seine Familie und sich selbst vor dem sicheren Tod retten.

Also unterstellen Fanatiker ihren Gegnern eine Form von Ursache und Wirkung, die so nicht gegeben ist. Beispiele solcher Fehlschlüsse: „Oh er ist Priester, er ist also ein Kinderschänder“ oder auch: „Er ist Moslem, er ist ein Terrorist“. Das geht natürlich auch genau anders herum: „Er ist ein Buddhist, also ist er ein guter Mensch“. Wenn es nur so einfach wäre. Ist es aber nicht. Das menschliche Verhalten ist individuell unterschiedlich und lässt sich nicht auf einen Aspekt als Ursache reduzieren. Jemand, der aus seinem Land flüchtet, ist noch nicht automatisch jemand, der uns etwas wegnimmt oder unser Land „überfluten“ will. Dazu gehört eine entsprechende Weltsicht und die entsprechende Motivation, sowie dutzende innere psychische Faktoren und ein entsprechendes auslösendes bzw. verstärkendes Umfeld.

Was nun die rechten Fanatiker hierzulande so gefährlich macht, ist, dass sie Informationen über ihre Kanäle hören oder lesen, die in ihr Weltbild passen. Also müssen sie wahr sein, so schließen sie (oft unbewusst). Jedoch wird die Information nicht mehr kritisch hinterfragt, wenn sie die eigene Sicht unterstützt. Auch wenn es offensichtlich falsch ist, wird dieser Umstand ignoriert. Schlimmer noch, wenn Fakten und Beweise vorgelegt werden, wird jegliche rationale Argumentation in den Bereich der Täuschung verbannt. Das heißt: Kritische Stimmen werden dämonisiert, Kritik tabuisiert („man ist naiv, hat es noch nicht begriffen“etc.) und eine passende Sichtweise mit Gruppenintegration belohnt. Nichts anderes machen die Sekten, die ihre Mitglieder abhängig machen wollen. Der Wunsch nach Anbindung und der Gruppenzwang tun ihr übriges.

Zusammengefasst: Fanatiker verallgemeinern, sehen ein Detail und bilden daraus ein allumfassendes Urteil. Gleichzeitig wählen sie Informationen meist unkritisch danach aus, ob diese ihre Weltsicht unterstützen oder nicht. Wenn die Information ihre Weltsicht nicht unterstützt, ist sie schlicht falsch, Lüge, Täuschung, Manipulation oder dergleichen.

Was tun? Mir ist leider kein Patentrezept bekannt. Konfliktkompetenz steigern, aktives Zuhören trainieren, das sind die Standardmethoden, um mit solchen Menschen umzugehen. Jedoch finde ich den Vergleich mit Suchtkranken passend. Ein Alkoholiker muss etwas finden, das ihm wichtiger ist, als der Alkohol bzw. das Trinken. Nur dann kann er den Absprung schaffen. Und genau das ist der Weg. Wir suchen den Goldklumpen in dem Menschen, den Aspekt, der für ihn wichtiger als seine Ablehnung ist. Dabei geht es nicht um „Bekehrung“ oder um „Befreiung aus den Fängen von xy“, es geht vielmehr darum, den Menschen eine Wahlmöglichkeit bewusst zu machen. Wählen, Entscheiden und den Weg gehen müssen sie selbst. Hilfreich sind bei der „Goldsuche“ Menschenkenntnis und Konfliktkompetenz. Beides lässt sich mit wenig Aufwand trainieren. Das sind meine Apfelbäumchen, die ich pflanze.

 

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