Mein Klient J. ist hochsensibel und hochbegabt. Im sozialen Miteinander seines Umfeldes, einer christlichen Gemeinschaft, ist er eher ein Einzelgänger und zurückgezogen. Das beeinträchtigt sein Leben nachhaltig. In gemeinsamen Sitzungen finden wir heraus, was es ihm ermöglicht, sich in einer Gruppe zuhause zu fühlen. Dabei kristallisieren sich 4 Aspekte heraus:

  • Wertschätzung
  • Angenommen sein
  • Augenhöhe
  • Selbstwirksamkeit

Wertschätzung

J. hat Selbstzweifel. Zwar ist er sich seiner Begabung und seiner enormen Kompetenz bewusst, aber an Selbstakzeptanz mangelt es. Dabei ist die fehlende Selbstakzeptanz wie ein vorauseilender Gehorsam dem inneren Entwerter gegenüber. J. verhält sich so, wie er glaubt, dass es von ihm erwartet wird. Diese Haltung ist erlernt und durch seine Kindheit bedingt. In der christlichen Gruppe, in der er eigentlich integriert sein möchte, begegnet man ihm eher mit Spott oder Ignoranz. Er fühlt sich durch diese Haltung in seiner Ganzheit (wozu auch seine Begabung gehört) abgelehnt und entwickelt Misstrauen. Brächte man ihm Wertschätzung entgegen, würde er mehr Vertrauen entwickeln und sich mehr öffnen, was positive Rückkopplung verursachen würde. Durch das Öffnen würde er sich mehr einbringen und die Wahrscheinlichkeit für positive Erlebnisse erhöhen.

Angenommen sein

J. fühlt sich in seiner Gesamtheit so nicht akzeptiert. Er versucht seine Kompetenz und Intelligenz zu verstecken, er versucht so zu sein, wie die Anderen, damit er akzeptiert wird. Eine authentische Integration ist aber nur möglich, wenn er seine individuellen Ausprägungen in angemessenem Rahmen zeigen darf. Tut er dies, wird er jedoch von Einzelnen abgelehnt. Was sich J. wünscht ist ein natürlicher Umgang: Er will nicht auf einen Sockel gestellt werden, will sich aber auch nicht verstecken müssen. Durch das Gefühl, angenommen zu sein, kann sich J. entfalten und Vertrauen entwickeln. Dies stärkt positive Erfahrungen und damit eine optimistischere Grundhaltung.

Augenhöhe

Einige Mitglieder seiner Bezugsgruppe begegnen ihm mit Arroganz und Überheblichkeit, manchmal auch mit Aggression. J. versteht, dass sie sich in ihrem Selbstwert bedroht fühlen, meistens sogar unbewusst. Ihr Verhalten ist ein Ausgleichsmechanismus, der für eine Wiederherstellung ihres inneren Ungleichgewichts sorgt. Dabei ist für J. das Skurrile, dass er sich nicht ansatzweise als überlegen fühlt. Im Gegenteil kommt er sich eher unterlegen vor. Um also entspannt und ohne die lästige „Hab‘ Acht“ Haltung mit den Anderen umgehen zu können, wünscht sich J. Augenhöhe. So wie er Handwerker um Rat fragt, wenn er ein Problem mit praktischen Dingen hat, so möchte er auch gefragt werden, wenn er seine Kompetenz einbringen könnte.

Selbstwirksamkeit

J. möchte sich nicht nur einbringen, sondern auch erfolgreich seine individuelle Kompetenz für alle nutzbar machen. Er möchte Ziele erreichen. Er wünscht sich, den Raum zu bekommen, sich einzubringen. Das gibt ihm das Vertrauen, dass er mit seinem Potenzial nützlich sein kann. Gleichzeitig möchte er auch seine Grenzen offen zeigen dürfen und zugeben dürfen, wenn er überfordert ist. So kann er auf natürliche und authentische Art und Weise seine Qualitäten in der Gruppe einbringen und alle bereichern.

Diese 4 Aspekte kristallisierten sich während unserer Arbeit heraus. Auch in anderen Situationen scheinen diese 4 Aspekte sehr wirksam zu sein und Konflikte umwandeln zu können. Der Name und die Zusammenhänge wurden von mir geändert, um die Person zu schützen. Wir denken jedoch, dass dieser Ansatz nutzbringend sein kann, weshalb mich J. inspirierte, diesen Artikel zu schreiben.