Seit einiger Zeit beobachte ich Shitstorms in den Medien. Besonders die sozialen Netzwerke sind ein Tummelplatz für Angriffe. Wie sind Shitstorms möglich? Ist unsere Gesellschaft verroht? Letztere Frage würde ich mit „ja“ beantworten, erstere versuche ich zu erörtern. Aus meiner Sicht hat dies mit einer unterentwickelten Kommunikations- und Feedbackkultur zu tun, denn manche meinen unbedingt ihr Urteil zu allem abgeben zu müssen, ohne ihre eigene Motivation dabei zu hinterfragen. Oft ist ein Aufmöbeln des Selbstwerterlebens ein Hauptgrund, doch auch die Informationsdichte ist ein Grund für die Zustände.

Im Vergleich zu früher ist heutzutage die Informationsdichte größer geworden. Wenn man früher 3 Mal die Woche abends in der Kneipe saß und abgelästert hat, dann war das noch vertretbar in der Mentalhygiene. Heutzutage ist jedoch die Frequenz der Negativinformationen massiv angestiegen. So passieren Shitstorms in hoher Intensität. Gleichzeitig ist unser Filtersystem nicht wesentlich leistungsfähiger geworden. Wir sind im Grunde überlastet mit der Frequenz der Informationen und müssen einen Großteil unseren mentalen Mechanismen überlassen, die dann entsprechend in Zustimmung oder Gleichgültigkeit münden. Wir sind im Grunde permanent auf Alarm, dass die Automatismen übernehmen, wo wir eigentlich unsere Haltung hinterfragen müssten. Doch bevor wir dazu kommen, wird schon die nächste Information geliefert.

Es ist vergleichbar mit dem Stoffwechsel im Körper (Fritz Simon beschreibt dieses Bild in seinem Buch „Gemeinsam sind wir blöd“). Der Stoffwechsel ist wie die Kommunikation zwischen einzelnen Menschen. Ist er zu hoch, wird man krank. Es zeigen sich Symptome. Genau das zeigt sich gerade in unserer Welt. Nahezu unreflektiert werden verbale Konflikte ausgetragen, Urteile gefällt und negative Konsequenzen in Kauf genommen, ohne dass die eigene Haltung kritisch überprüft wird.

Erschwerend kommt hinzu, dass es einfacher ist, den eigenen Selbstwert aufzubessern, indem man einen anderen Menschen klein macht. Wenn Gisela besser ist als Fritzchen, findet er das doof. Für Fritzchen ist es leichter, Gisela eins auf die Mütze zu hauen, anstatt an sich zu arbeiten und irgendwann Gisela mit Fairness zu übertreffen.

Retten kann uns nur Selbstreflektion. Eigene Haltungen und Urteile kritisch zu hinterfragen, ist essentiell im Kampf gegen die Verrohung. Und vor allem Mitgefühl mit denjenigen, die mitten in diesem Prozess sind. Dann besteht Hoffnung.

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