Sehen. Erkennen. Verstehen.
Idealismus oder Eigennutz? Heutzutage ist dies eine unbequeme Entscheidung. Einerseits blicken wir auf eine europäische Geschichte des Humanismus und der Demokratie zurück, die teuer erkauft wurde, andererseits ist das Leben, wie wir es kannten bedroht. In Griechenland wird die europäische Außengrenze mit Gewalt verteidigt – und zwar gegen Geflüchtete.
Wir haben jahrzehntelang billigend in Kauf genommen, dass Waffen an Regierungen geliefert werden, ohne zu fragen, was diese damit eigentlich anfangen. Wir haben unseren Wohlstand mit den Rohstoffen anderer Länder und Kontinente aufgebaut, ohne zu fragen, was das eigentlich mit der Bevölkerung vor Ort macht. Nun stehen viele dieser Menschen vor unseren Grenzen, aus einer Welt kommend, die für sie nicht mehr lebenswert erscheint, auf der Suche nach einer Möglichkeit in Würde zu leben. Diese Möglichkeit, so denken wir, bedroht unsere Art zu leben.
Es sind fremde Kulturen dabei, die sich mit einigen westlichen Gepflogenheiten schwertun. Doch das ist eine Herausforderung der Integrations- und letztendlich auch einer Zuwanderungspolitik. Auch ist es eine Herausforderung für jeden Einzelnen von uns. Die zentrale Herausforderung besteht darin, althergebrachte Denkmuster zu hinterfragen: Können wir uns in unserer Selbstherrlichkeit sonnen und Flüchtende beschießen? Können wir wirklich ruhigen Gewissens von DEM Moslem, von DEM Asylanten oder DEM Geflüchteten sprechen? Menschen, die diese Frage allen Ernstes mit „ja“ beantworten, sollten dann auch nicht rumheulen, wenn sie mit DEM Deutschen und DEM Faschisten abgeurteilt werden.
Es gibt Leid und wir können es mindern. Ein wesentlicher Schritt wäre, wenn diejenigen, die mit dem Leid anderer Leute Geld verdient haben, nun auch Verantwortung zeigen und in die Lösung der Probleme investieren – und zwar auf eine humanistische Art. Das wäre allen voran die Rüstungsindustrie.
Wir, jeder Einzelne von uns, sollten die Menschen individuell betrachten. Traumatisierte Menschen verhalten sich mitunter schwierig. Das heißt jedoch nicht, dass das die komplette Persönlichkeit abbildet. Ein individueller Blick auf Menschen eröffnet neue Horizonte. Was wir dieser Tage brauchen, ist eine gesunde Selbstkritik, sich selbst, die eigene Wahrnehmung und das eigene Urteil zu hinterfragen. Und gegebenenfalls eine klare Grenze zu ziehen, wenn Verhaltensweisen Einzelner die Menschenrechte und die Demokratische Grundordnung gefährden. Dabei ist unwichtig, ob es sich um Deutsche, Geflüchtete oder religiöse Würdenträger handelt. Am Ende sind dies alles nur Etiketten, Schubladen, die in dem Moment der Rechteverletzung nicht greifen (sollten).
Kommen wir zur Eingangsfrage zurück: Idealismus oder Eigennutz? Ich wähle die pragmatische Variante: Genug Eigennutz, um unsere humanistischen Ideale weiterleben zu können und genug Idealismus, um selbige konsequent zu verfolgen.