Wenn man in Menschen lesen möchte, wie in einem Buch, ist es hilfreich Stressreaktionen zu erkennen. Dabei ist weniger der Stress interessant, sondern viel mehr die Reaktion darauf. Im Grunde läuft es auf eine einfache Formel hinaus:

Negativer Reiz –> Stress –> Beruhigungsgeste.

Wenn ich beispielsweise in einer Gehaltsverhandlung bin und mein Chef mich mit einem Fehler aus der Vergangenheit konfrontiert, dann verspüre ich Stress. Meine unbewusste Reaktion darauf ist eine Beruhigungshandlung oder -geste, die für Entspannung sorgt. Diese Gesten kann man recht gut erkennen UND sie passieren weitestgehend unbewusst.

Warum funktioniert das so?

Das Reptilienhirn, bzw. das limbische System, steuert Reizreaktionen, die uns vor Gefahren schützen sollen. Wenn wir jedesmal nachdenken müssten, sobald uns etwas bedrohlich erscheint, hätten wir einen hohen Verbrauch an Kopfschmerzmitteln und vermutlich keine hohe Lebenserwartung. Um unser Überleben zu sichern und dabei nicht zu viele Ressourcen zu verbrauchen, haben wir das limbische System. Und damit wir nicht mit wirren Gedanken darin rumpfuschen, lässt es sich nicht vom Verstand steuern. Das führt dazu, dass Menschen Signale senden, die uns zeigen, dass da vermutlich Stress empfunden wird.

Wie sehen solche Gesten aus?

Das können verschiedene Beruhigungsgesten sein. Um ein paar aufzuzählen:

  • über den Nacken streichen
  • übers Gesicht streichen
  • mit dem Haar spielen
  • vermehrtes Gähnen
  • am Bein entlang streichen
  • sich Luft verschaffen, wie am Kragen ziehen

Diese Liste ist keineswegs vollständig, sondern es sind nur Beispiele. Außerdem ist es wichtig, die Gesten immer im Kontext zu sehen. Wenn wir denken, dass der Gesprächspartner unter Stress gerät, ist keineswegs klar, warum das so ist. Vielleicht denkt er gerade an Onkel Willie und Onkel Willie war schon immer gemein zu ihm. Diese Erinnerung verursacht Stress in ihm und er reagiert entsprechend. Wenn wir nun fälschlicherweise die Reaktion auf unser Gespräch beziehen, kommen wir zu falschen Schlussfolgerungen. Dabei kann – metaphorisch gesprochen – ziemlich viel Porzellan zu Bruch gehen. Gestendeutung ist immer ein Geschäft mit Indizien – es gibt keine Sicherheit und keine Garantie, nur Wahrscheinlichkeiten. Und eine einzelne Geste macht noch keine amtliche Stressreaktion aus. Eindeutiger sind da ganze Signalketten oder -kombinationen.

Am Ende geht es ganz einfach um den Gegensatz zwischen Behagen und Unbehagen. Wenn wir Unbehagen verspüren, steuert unser limbisches System dagegen und initiiert Beruhigungsgesten, die den Stress reduzieren. Genau diese Gesten zu erkennen und entsprechend einzuordnen, ist eine von mehreren Aufgaben beim Lügen erkennen.

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